von unserem Vereinsmitglied Thomas Reichle

Ich wollte mehr wissen! Über Facebook habe ich erfahren, dass meine alte Freundin Verena eine Hilfsorganisation gegründet hat, womit meine Neugier und Begeisterung geweckt waren. Wir schrieben ein paar Mails, telefonierten ein paar Mal und ich war überzeugt von der Arbeit die Ambatana e.V. im Süden Kenias vollbringt. Ich wollte aber mehr als nur das – ich wollte mich auch engagieren und Teil dieser Unterstützung werden. Aus diesem Grund wurde ich Mitglied bei Ambatana.

Schnell wurde klar, dass das Bild, das wir hier in Deutschland bekommen, von der Realität oft stark abweicht. Für meine Aufgaben, die ich bei Ambatana übernehmen wollte, war es aber wichtig, dass ich mir ein realistisches Bild von der Situation dort mache. Aus diesem Grund haben wir uns kurzerhand dazu entschlossen, dass ich Verena bei ihrem Besuch der Projekte vor Ort im September 2014 begleite. Die Eindrücke und Erfahrungen, die ich dort machen konnte und musste waren größtenteils schockierend, da für deutsche Verhältnisse absolut unvorstellbar.

Eine Geschichte die mir nach wie vor zu denken gibt, ist die einer jungen Mutter. Ihrem Schicksal der Hungersnot ergeben verschlechterte sich ihr Zustand zunehmend. Zunächst konnte sie sich nicht mehr um ihre kleine Tochter kümmern. Gefolgt von jeglichem Versagen der Körperbeherrschung. Da die Frau dem Tod sehr nah war und Massai den Tod im Haus fürchten, rieben sie die Frau mit Fett ein, brachten sie in die Wüste mit der Hoffnung, die Hyänen würden sich ihr annehmen.

Am nächsten Tag war die Frau jedoch noch an der Stelle, wo sie abgelegt wurde und atmete noch sehr schwach. Dies war ein Zeichen, dass ihre Zeit doch noch nicht gekommen sein mag und so brachte man sie zurück, wo mit großem Glück an jenem Tag Father Tito vorbeikam. Seitdem kümmert er sich um sie. Dieses Schicksal, das als sehr selten oder einzigartig für viele wirken mag, ist aber kein solches. Es ist die Realität und wenn man in die Augen hungernder Kinder schaut, versteht man das.

Was mich in der ganzen Zeit aber auch stets fasziniert und nachdenklich gemacht hat, war die große Aufopferungsbereitschaft, das Gemeinschaftsgefühl und die gegenseitige Fürsorge. Kinder nicht älter als zehn, die in der Klasse sitzen, dabei mit der rechten Hand schreiben und im linken Arm ein kleines Baby halten. Den Bruder oder die Schwester oder auch nur ein Nachbarkind. Wessen Kind das ist, spielt keine große Rolle. Man kümmert sich um einander und sorgt sich. Tische in der Schule, die nicht breiter sind als 1,50m – dennoch teilen sich diesen Tisch bis zu 5 Kinder und keiner stellt Platzansprüche.

Dieses Wir-Gefühl und die Bereitschaft sich den Widrigkeiten aus Dürre, Regenarmut, Geldknappheit und Desinteresse der Politik für das Leben auf dem Land zu stellen, haben mich bis ins Mark getroffen und mir deutsche Sorgen wie Lächerlichkeiten vorkommen lassen.

Die Zeit in Kenia war geprägt von einer unsagbar großen Gastfreundlichkeit und Dankbarkeit, selbst für minimalste Dinge. Für einen einfachen Besuch bei einer Familie oder in einer Schule waren die Menschen unendlich dankbar. Es war ein Zeichen, dass es jemanden gibt, der an sie denkt. Nachdem sie von ihrer Regierung schon längst im Stich gelassen wurden, haben viele den Wunsch wenigstens irgendwie Gehör zu finden – zu Recht. Und dass Ambatana den Menschen dieses Gehör schenkt, hat mich stolz und wehmütig zugleich gemacht. Stolz, weil ich Teil von etwas Besonderem für die Menschen dort sein konnte, aber wehmütig, dass es diese Diskussion überhaupt geben muss, beim Gedanken an all den Überfluss, in dem wir leben.

Ein kleines Mädchen, ihr Name ist Sein, wird von Father Tito schon seit einiger Zeit unterstützt. Sein ist ca. 10 Jahre alt – so genau kann man ihr Alter nicht angeben – und Sein hat das Schlimmste im Leben eines Menschen schon durchmachen müssen.

Gefunden wurde sie von Father Tito, als sie mit ihrer Familie unter einer Plastikplane unter einem Baum lebte. Nun besitzen sie dank der Hilfe von Father Tito ein typisches Massai-Haus. Von Hungersnot und dem traurigen Leid vieler junger Massai-Mädchen gezeichnet, war und ist Sein leider immer noch sehr traumatisiert. Sie spricht nur ganz wenig und schaut man ihr ins Gesicht erübrigen sich auch viele Fragen.

Da auch ihr die nötigen Schulmaterialien nahezu in Gänze fehlen, haben wir sie und ihre Familie besucht und die kleine Sein mit Heften, Stiften und sogar einem Mäppchen überrascht. Nach ein paar begrüßenden Worten, denen Sein nur lauschte, bekam sie unsere kleine Überraschung. Und sie musste auch gar nichts sagen, damit wir merkten, wie glücklich sie das machte.

Da sich Verena und Sein schon kannten, hatten sie bereits eine Beziehung aufgebaut und Sein klammerte sich sehr an Verena, was mit den ganzen Schulsachen dann fast nicht mehr möglich war. Als wir dann wieder fahren mussten, kam für mich der bewegendste Moment der letzten Wochen. Von den Geschenken und unserem Besuch so überwältigt stand die kleine Sein am Ausgang des Dorfes und während wir ihr aus dem Auto heraus noch winkten und sie uns zurück winkte, zog sich ein ganz kleines und unscheinbares Lächeln über ihre Wangen. Es war kein ausgelassenes Grinsen oder Gelächter, sondern nur ein kleines Lächeln, aber dieses Lächeln hat mir bestätigt, dass Father Tito und somit auch Ambatana mit ihrer Unterstützung von Father Titos Arbeit, das absolut Richtige tun!

Ich bin froh und dankbar über die Erfahrungen, die ich in dieser sehr prägenden Zeit im Süden Kenias machen konnte, weil sie das eigentlich Wesentliche wieder mal in den Mittelpunkt gerückt haben.